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Mittelbayerische Zeitung 23.9.2008 |
Regensburg. Von Ulrich Kelber, MZ
Es ist unglaublich und auch irgendwie tragisch,
welche Bewandtnis es mit den Bildern hat, die bis zum 4. Oktober
bei der Ausstellung „Gerettet…!“ im
DEZ gezeigt werden. Sie stammen von dem Maler Hans Geistreiter, der
1989 mit dem Regensburger Kulturpreis ausgezeichnet wurde. Er war
in der Stadt ein wichtiger Vorreiter der abstrakten Malerei gewesen,
wurde in seiner Bedeutung aber lange Zeit verkannt und fand erst
im Alter gebührende Anerkennung.
Im Januar 1996 ist Hans Geistreiter gestorben;
nach einem Schlaganfall hatte er ein Altersheim bezogen. Gelebt
hatte Hans Geistreiter seit 1979 vornehmlich in Kallmünz (während seine Frau in einer
kleinen Wohnung in Regensburg blieb). Das Haus in der Vilsgasse mit
der vom Künstler mit Blumen, Sonnen und Ornamenten bemalten
Fassade ist noch heute ein Blickpunkt. Nach seiner Erkrankung verfiel
das Haus schnell; Rowdys hatten die Fensterscheiben eingeworfen,
es wurde zum Schandfleck.
Geraume Zeit nach Geistreiters
Tod wurde das Haus schließlich
verkauft, das verbliebene Inventar kurzerhand „entsorgt“.
Ein Kallmünzer Nachbar beobachtete, dass dabei auch große
Papierbögen mit Geistreiters Bildern im Müllcontainer landeten.
Er verständigte mehrere Behörden, fand dort aber kein Interesse.
Als schon der Lastwagen gekommen war und den Müllcontainer auflud,
startete der kunstsinnige Kallmünzer kurzerhand selbst eine
Rettungsaktion. Wie er erzählt, konnte er durch einen Anruf
bei der Müllfirma erreichen, dass der Container nicht sofort
entleert, sondern zwischengelagert wurde. Und so barg der Mann, der
ungenannt bleiben will, aus dem Abfall schließlich wichtige
Zeugnisse aus dem künstlerischen Schaffen Geistreiters, neben
vielen großformatigen Blättern auch Druckstöcke für
Holzschnitte oder aufschlussreiche Entwürfe für Wandbilder.
Eine Auswahl davon stellte er jetzt für die Schau zur Verfügung.
Man könnte also von einem glücklichen Ausgang der Geschichte
sprechen. Doch es bleibt ein großes Unbehagen. Warum half niemand
der offensichtlich überforderten Witwe bei der Sicherung des
Nachlasses ihres Mannes? Wo waren Künstlerkollegen, Berufsverband,
Museen oder Galerien? Warum hat niemand richtig nachgefragt? Die
Sparkasse Regensburg und der Bezirk Oberpfalz nahmen für ihre
Kunstsammlungen zwar größere Ankäufe von Geistreiter-Werken
vor, aber man muss argwöhnen, ob nicht doch wichtige Dinge unrettbar
verloren gegangen sind.
Hans Geistreiters Werk muss gigantischen
Umfang haben; er war von immensem Schaffensdrang beseelt. Vor seinem
Studium zwischen 1930 und 1935 an der Münchner Kunstakademie
bei Olaf Gulbransson und Karl Caspar war er in Regensburg Theatermaler
gewesen, kannte sich also aus mit schnellem Arbeiten. Er malte
vor allem auf Papier, nutzte Aquarell- und Dispersionsfarben.
Welche Fülle, welch wacher Geist!
Auch die Bilder im DEZ lassen die Impulsivität Geistreiters
spüren. Sie sind alle zwischen 1967 und 1968 entstanden. Welche
Fülle, welch wacher Geist zeigen sich da! Und es gibt etliche Überraschungen,
nämlich figürliche Arbeiten, darunter ein großes
Frauenporträt. Besonders auffallend ist das Bild eines Demonstrationszuges
mit Menschengedränge und roten Fahnen. Es zeigt, wie intensiv
sich Geisteiter mit dem damaligen politischen Geschehen auseinandergesetzt
hat.
Eine schier überbordende Vielseitigkeit lässt sich aber
genauso in den abstrakten Bildern erkennen. Mal strahlen die Farben
voller Leuchtkraft, dann wieder herrschen gedämpfte Töne
vor. Spannende Liniengeflechte ziehen sich durch die Arbeiten, ballen
sich zu vieldeutigen Chiffren. Die Stimmung der Bilder nimmt den
Betrachter gefangen: Es überwiegen bedrohlich-gespenstische
Elemente, oft herrscht aber auch lockere Heiterkeit vor, die einer
unmittelbaren Lebensfreude Ausdruck verleiht. Auch an den Bildern
aus dem Müll zeigt sich, dass Hans Geistreiter eine herausragende
Bedeutung unter den Regensburger Künstlern der Nachkriegsjahrzehnte
zukommt.
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